<HTML>Spiegel-online, 21.11.05
PSYCHOKNAST IN CHINA
Irre ist, wer aufbegehrt
[
www.spiegel.de]
Auszug:
Wang Wanxing ist der erste chinesische Regimekritiker, der aus der Polizeipsychiatrie ins deutsche Exil entlassen wurde. Mit SPIEGEL ONLINE sprach der Dissident über Elektroschocks, Zwangsernährung und den täglichen Wahnsinn in staatlichen Gefängniskliniken.
Am 3. Juni 1992 schließlich fand Wangs politischer Kampf ein jähes Ende: Zum dritten Jahrestag des blutigen Massakers entrollte er auf dem Platz des Himmlischen Friedens ein Plakat, auf dem er die Regierung in leuchtend roten Schriftzeichen aufforderte, die gewaltsame Niederschlagung der Studentenproteste aufzuarbeiten und neu zu betrachten. "Ich hatte außerdem einen 23 Seiten langen Brief an Deng Xiaoping geschrieben und Kopien davon an ausländische Journalisten geschickt", berichtet Wang.
Die ließen sich nicht lange bitten, und erschienen zu der spektakulären Ein-Mann-Aktion auf dem Tienanmen. Eine Provokation für die Sicherheitskräfte, die den Demonstranten selbst sowie zwei japanische Reporter unverzüglich festnahmen. 30 Tage verbrachte Wang auf einer Pekinger Polizeiwache, dann wurde er in eine polizeilich geführte psychiatrische Anstalt überstellt - ohne gerichtliche Anhörung, ohne Verfahren, ohne Rechtsbeistand und ohne eine Ahnung davon, dass er die kommenden 13 Jahre unter kriminellen Geisteskranken leben würde...
Die Ärzte kamen schnell zu einer passenden Diagnose: Der Patient leide an "politischer Paranoia" oder auch Monomanie, einer Krankheit, bei der auf wahnhafte Weise eine bestimmte Idee verfolgt wird, hieß es.
Ankang - so der chinesische Name für die landesweit etwa 25 forensischen Kliniken - bedeutet "Friede und Gesundheit". Das Leben des Patienten Wang war von einem solchen Zustand weit entfernt...
"Heute sind es weniger die klassischen Dissidenten von Verhaftung bedroht als unliebsame Kritiker, die Korruption und Machtmissbrauch an ihren Arbeitsstätten oder in den Gemeinden anprangern. Sie werden per Einweisung in die Ankangs schlicht mundtot gemacht", empört sich Munro. "Es ist blanker Zynismus: Noch bis vor kurzem glaubten viele Ankang-Psychiater tatsächlich, dass Dissidenten geisteskrank seien. Heute benutzt die Obrigkeit die Anstalten, um die Leute zum Schweigen zu bringen. In dem Moment, in dem die Polizei behauptet, jemand sei geisteskrank, verliert diese Person sämtliche Rechte."</HTML>