<HTML>WELT am Sonntag-Artikel (4. Juli 2004):
Der mordende Biedermann
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Auszüge:
"Brüssel - In Handschellen, den Kopf gesenkt, bewacht von belgischen und französischen Polizisten traf am Samstagmorgen gegen zehn Uhr Michel Fourniret, 62, auf dem Gelände seines Waldschlosses "Sautou" in den französischen Ardennen ein. Er ist gelernter Waldarbeiter aus Frankreich mit Wohnsitz in Belgien - und mutmaßlicher Serienkiller... Bilder, die Belgien kennt, wiedererkennt. Bilder, die sich in acht langen Jahren zu einem Trauma verdichtet haben. Am 15. August 1996 führte der arbeitslose Elektriker und vorbestrafte Kinderschänder Marc Dutroux die Ermittler zu seinem Haus in Marcinelle im Süden Belgiens und öffnete die Luke zu einem Kellerverlies. ... Dutroux wurde jüngst verurteilt zu lebenslanger Haft.
Neun Morde, wahrscheinlich noch mehr, soll Fourniret in der Zeit zwischen 1987 und 2001 begangen haben. Seine Opfer waren meist Mädchen, junge Frauen aus Belgien und Frankreich, zwischen 12 und 22 Jahren alt... Er entführte, fesselte und vergewaltigte sie, dann brachte er sie um. Ihre Namen, ihre Gesichter, immer wieder gedruckt auf den Titelseiten der Zeitungen, werden sich einbrennen in das kollektive Gedächtnis Belgiens und Frankreichs, wie zuvor die Namen und die Gesichter der Dutroux-Opfer.
Auf den ersten Blick sind die Parallelen der Fälle Dutroux und Fourniret erschreckend. "Und doch ist die Wirkung beider auf die belgische Gesellschaft eine völlig andere", sagt der belgische Politikwissenschaftler Marc Hooghe, der an der Universität Leuven zum Vertrauensverlust der Belgier in die Institutionen geforscht hat. Fourniret werde die belgische Gesellschaft nicht in ihren Grundfesten erschüttern, wie Dutroux es getan hat, ist sich Hooghe sicher.
Als 1996 die Taten von Marc Dutroux nach und nach bekannt wurden, stürzte das die belgische Justiz in ihre bislang größte Krise, die Gesellschaft verlor jedes Vertrauen in den Staat. "Das hat sich erst langsam durch die anschließende Justizreform und zuletzt durch den erfolgreich beendeten Dutroux-Prozess geändert", so Hooghe. Die Belgier glaubten allmählich wieder an sich und ihre Institutionen. Der Fall Fourniret, so Hooghe, könne dieses Vertrauen sogar weiter stärken. "Fourniret ist Franzose und das zeigt den Belgiern, dass es Täter wie Dutroux in jeder Nation geben kann", so Hooghe.
Es war die 13-jährige Marie-Ascension aus dem südbelgischen Ciney, die im Juni 2003 der Mordserie ein Ende bereitete: Sie sprang aus dem fahrenden Lieferwagen, in den Fourniret sie gezerrt hatte, und führte die Polizei auf dessen Spur. Nie vergessen wird sie die wenigen Worte, die sie mit Fourniret wechselte: Ob er zur Dutroux-Bande gehöre, fragte das Mädchen. Nein, habe der gesagt, "ich bin schlimmer".
Der mordende Biedermann
Wie im Fall Dutroux, dessen Ermittlungspannen zu einem Protestmarsch von 300 000 Belgiern zum Brüsseler Justizpalast führte, zu einer Polizeireform und zu mehreren Ministerrücktritten, so zerrt der Fall seines Wiedergängers Fourniret erneut die Mängel von Polizei und Justiz in die Öffentlichkeit. Denn Fourniret hätte in Belgien bereits im April 2001 gefasst werden können: Eine junge Frau hatte der Polizei gemeldet, dass sie belästigt worden sei und den Beamten eine präzise Beschreibung des Mannes sowie sein Autokennzeichen gegeben. Doch nichts geschah. Auch nicht, als drei Wochen später in derselben Gegend ein Mädchen verschwand.
Diesmal gerät nicht nur die belgische Polizei, sondern das gesamte Justizsystem der Europäischen Union in Zugzwang. ..1991 zog er über die Grenze nach Belgien, wo er polizeilich nicht erfasst war. Er lebte in dem kleinen Städtchen Sart-Custienne in einem Haus aus graubraunem Naturstein, das so unauffällig und harmlos wirkte wie sein Bewohner. Ein ganz normaler Mann sei er gewesen, so beschreiben ihn seine Nachbarn.... Zeitweise hatte er sogar eine Anstellung als Hausmeister in einer Mädchenschule. Viele Gelegenheiten, sich seine Opfer auszuspähen, systematisch und im Schatten seines bescheidenen Lebens als belgischer Biedermann...“</HTML>