[home]
www.mikrowellenterror.de


Quelle: DIE WELT am SONNTAG online vom 6. Jan. 2002
Mikrowelle als Nahkampfwaffe

Nachbarn attackieren sich mit manipulierten Herden. Die Strahlung dringt durch Wände und führt zu schweren Gesundheitsschäden. Schon 150 Strafverfahren
Von Julia Winkenbach

      
Das Ehepaar Kuhn kleidet sein Haus mit Alufolie gegen Mikrowellenstrahlen aus
Foto: WamS
 
   

Berlin - Wenn Irmgard K. aus Kalchreuth bei Nürnberg ihre Ruhe haben will, dann muss sie raus. Raus aus ihrer Wohnung, irgendwohin, nur weg. Bleibt sie zu Hause, geht es wieder los: Kopfschmerzen, Gleichgewichtsstörungen, ein Dröhnen in den Ohren, Herzrasen. Schuld daran sind Mikrowellen, die offenbar bewusst in die Wohnung von Irmgard K. gelenkt werden, um sie zu quälen. Übel meinende Nachbarn, so der Verdacht, bestrahlen die Wände ihrer Wohnung mit einem umgebauten Mikrowellenherd. Ihr Lebensgefährte Dr. Reinhard Munzert spricht von "einer neuartigen Form von High-Tech-Verbrechen", dem im gesamten Bundesgebiet immer mehr Menschen zum Opfer fallen. Rund zwanzig von ihnen haben sich schon in der von ihm gegründeten "Interessengemeinschaft der Opfer von Elektro-Waffen" zusammengeschlossen. Sie versuchen, sich selbst zu helfen, weil die Polizei ihnen nicht glaubt, die Staatsanwaltschaft nicht, meist nicht mal der engste Freundeskreis.

Für Irmgard K. fing alles mit einer Bagatelle an. Sie stritt mit ihren Nachbarn über deren fünf Hunde, weil sie deren Gebell nicht ertragen konnte. Der Streit eskalierte zum "Nachbarschaftskrieg". Danach hatte sie die Beschwerden: "Plötzlich hörte ich immer wechselnde Töne und hatte Schlafstörungen." Reinhard Munzert recherchierte für sie, bis ihn schließlich Techniker an der Universität Erlangen auf die Idee mit den Mikrowellen brachten. "Wir wissen", sagt Munzert, "dass das ungeheuerlich klingt." Er und seine Freundin würden aber tatsächlich "wie Fleisch in einer Mikrowelle angegangen".

Klaus Münter von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig bestätigt gegenüber WELT am SONNTAG, "dass es technisch möglich ist", Nachbarn durch Wohnungswände hindurch mit umgebauten Mikrowellenherden zu bestrahlen. Denn die Wände halten nur die Hälfte der starken Strahlung ab, Fenster lassen sogar alles durch. Für den Umbau eines Herdes zur Strahlenschleuder sei allerdings eine technische Ausbildung nötig. Das bestätigt auch Professor Peter Pauli von der Universität der Bundeswehr: "Ein Mikrowellengerät hat eine Leistung von etwa 800 Watt. Um diese zu einem Strahl zu bündeln, braucht man eine starke Richtantenne." Zudem müssten zwei Sicherheitsschalter überbrückt werden. Wem das gelungen ist, kann seinen Nachbarn mit einer Dosis tyrannisieren, die annähernd hundertfach stärker ist, als es das Bundesimmissionsschutzgesetz erlaubt, das den Grenzwert für die Strahlung von Mobilfunkantennen bei zehn Watt pro Quadratmeter festgesetzt hat.

Diese Zahlen kennen Friedhelm und Gertrud Kuhn aus Bochum schon lange auswendig. Denn auch sie werden in ihrem Haus aus unbekannter Quelle bestrahlt, seit Weihnachten 1999. Auch hier begann es mit Nachbarschaftsstreitigkeiten. Friedhelm Kuhn spürte zuerst nur ein Flackern im Auge, später kamen Bluthochdruck, Herzstiche und das "Gefühl zu kochen" dazu. "Immer, wenn ich mein Haus betrete, fühlt es sich an, als bekäme ich einen Sonnenbrand", beschreibt er den Einfluss der Mikrowellen auf seinen Körper. Durch seine Arbeit als Elektrotechniker kam Kuhn auf den Gedanken, dass er es mit Strahlen zu tun haben könnte und erstattete Anzeige wegen Körperverletzung. Doch er blitzte ab. Kuhn: "Der Staatsanwalt sagte, mit Hirngespinsten gebe er sich nicht ab." Da griff der Elektrotechniker zur Selbsthilfe: Er beklebte die Innenwände seines Hauses mit Aluminiumfolien, weil die wenigstens einen Teil der Strahlen abhalten. Ausziehen wollten die Kuhns trotz der Strahlenattacke nicht, denn sie hatten sich ihr Eigenheim nach eigenen Plänen errichtet.

Quelle: Printausgabe dieses Artikels in Welt am Sonntag

Miriam Enzler dagegen ist schon umgezogen. Auch sie hatte Streit mit ihren Nachbarn, auch sie hatte plötzlich "das Gefühl zwischen zwei Stromquellen zu leben", und auch sie musste die Erfahrung machen, dass mit den Opfern von Mikrowellen umgegangen wird, "als wären wir die größten Idioten". Miriam Enzler trägt auch nach dem Umzug noch schwer an dem Strahlenangriff: "Meine Schleimhäute brennen wie Feuer, ich habe Kopfschmerzen bis zum Erbrechen und kolikartige Bauchkrämpfe."

Eine Hoffnung, den bisher unbekannten Mikrowellen-Gangstern bundesweit das Handwerk zu legen, sieht Rechtsanwalt Detlev Eidebenz, der ein Opfer aus Frankfurt vertritt, nur darin, gemeinsam zu kämpfen. Eidebenz: "Es gab in Deutschland in der Sache schon 150 Strafverfahren, die zu keinem Ergebnis kamen." Jetzt müssten, sagt der Anwalt, die Staatsanwaltschaften aller Bundesländer auf die Vielzahl von Einzelfällen aufmerksam gemacht werden. Unterstützung von der Polizei gibt es auch schon: Markus Dümig vom 8. Polizeirevier in Frankfurt am Main sammelt bundesweit die Berichte von Mikrowellen-Opfern. Dümig: "So lange, bis die Sache strafrechtlich gewürdigt wird."

Der hilfsbereite Beamte ist der Strohhalm, an den sich die verzweifelten Mikrowellen-Opfer klammern. Denn obwohl es bislang nur wenige Untersuchungen gibt, die beweisen, dass Mikrowellen Langzeitschäden hervorrufen können, fürchten sie sich mehr als vor den augenblicklichen Schmerzen vor den Langzeitfolgen. Für Irmgard K. wurde der Albtraum wahr: Bei ihr stellten die Ärzte gerade einen Eierstocktumor fest.

[home]