Ex-Siemens-Chef Heinrich von Pierer
Geheimnisvoller Besuch bei Beckstein
Süddeutsche Zeitung Print und online
Der ehemalige Siemens-Chef Pierer hat im Schmiergeldskandal frühzeitig beim damaligen Innenminister Beckstein vorgesprochen. In der Folgezeit nahm das Verfahren gegen Siemens offenbar eine entscheidende Wende.
Von Klaus Ott
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www.sueddeutsche.de] Auch in der Printausgabe der Süddeutschen Zeitung, 3.4.2008, S. 22.
Auszug:
Ex-Siemens-Chef Heinrich von Pierer. Waren seine Kontakte zur bayerischen Staatsregierung förderlich?
Was die vielen Beschuldigten zu Protokoll geben, die im Korruptionsskandal bei Siemens aussagen und gestehen, das liest sich spannender als mancher Kriminalroman.
Eine kleine Kostprobe genügt. Ein früherer Direktor des Weltkonzerns hat den Ermittlern erzählt, man habe sich bei den Schmiergeldzahlungen lange Zeit sehr sicher gefühlt. Intern sei geraunt worden, ein einflussreicher Kollege habe gute Kontakte zur bayerischen Justiz und gehe mit einem wichtigen Entscheidungsträger in die Sauna. So könne bei Bedarf alles unter den Teppich gekehrt werden.
Das stimmt so nicht, schließlich hat die Münchner Staatsanwaltschaft den größten Korruptionsfall in der deutschen Wirtschaftsgeschichte ausgegraben.
Andererseits fällt auf, dass die Strafverfolger längst nicht mehr so energisch nach der Verantwortung in der Konzernspitze forschen wie in den ersten Wochen nach der legendären Großrazzia bei Siemens vom 15. November 2006. Waren vermeintliche Sauna-Bekanntschaften gar nicht nötig, um Einfluss zu nehmen, weil andere Kontakte womöglich nützlicher gewesen wären?
Am 14. Dezember 2006 sprach der damalige Aufsichtsratsvorsitzende und frühere Konzernchef Heinrich von Pierer beim seinerzeitigen Innenminister Günther Beckstein (CSU) vor. Beckstein, heute Ministerpräsident, war für die Kriminalpolizei zuständig, die an der Seite der Staatsanwaltschaft eifrig fahndete.
Drei Tage vor Pierers Besuch bei Beckstein hatte der Skandal die Konzernspitze erreicht. Topmanager Thomas Ganswindt, der erst wenige Wochen vorher aus dem Siemens-Vorstand ausgeschieden und zu einem anderen Unternehmen gegangen war, kam in Untersuchungshaft. Ganswindt gestand, von Schmiergeldzahlungen in mehreren Ländern gewusst zu haben; er bestritt, das System der schwarzen Kassen und weltweiten Korruptionsdelikte gekannt zu haben.
In Bedrängnis
Damals sah es so aus, als sei es nur noch eine Frage der Zeit, bis sich die Ermittler den amtierenden Konzernvorstand vornehmen würden. Das Unternehmen, einer der größten Arbeitgeber in Bayern, war in Bedrängnis. Würde Siemens den Skandal überstehen? Pierer, einer der führenden Manager der deutschen Wirtschaft, schilderte Beckstein nach Angaben der bayerischen Regierung die Auswirkungen der Affäre auf den Konzern.
In der Folgezeit nahm das Verfahren offenbar eine entscheidende Wende. Fortan sah es so aus, als ermittle die Staatsanwaltschaft mehr in die Breite als nach oben. Ansätze für gezielte Untersuchungen, was im Topmanagement bekannt gewesen war, hätte es genug gegeben. Doch die Strafverfolger kümmerten sich lieber im Detail darum, wie bei Siemens auf der mittleren und unteren Ebene agiert worden war. Hatte das mit Pierers Besuch bei Beckstein zu tun?
Die Staatsregierung sagt, Pierer habe nicht versucht, auf die Ermittlungen Einfluss zu nehmen. Pierers Anwalt teilt mit, sein Mandant habe Beckstein über den damals bekannten Umgang des Falles informiert. Die "Gesamtsituation" habe ihn dazu veranlasst.
Pierer habe selbstverständlich nicht versucht, auf die Ermittlungen Einfluss zu nehmen...
Die Süddeutsche Zeitung meldet in der selben Ausgabe auf der Titelseite "Pierer soll schuldlos sein" sowie S. 19, auch dazu ein Auszug:
Staatsanwälte waschen Pierer rein
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www.sueddeutsche.de]
Ex-Konzern-Chef Pierer hat nach Ansicht der Staatsanwaltschaft nichts vom System der schwarzen Kassen bei Siemens gewusst. Kritiker bemängeln, die Personalie werde nicht ausreichend untersucht.
Von Klaus Ott
Der neue Antikorruptionsbeauftragte Andreas Pohlmann hatte im Februar in einem SZ-Interview gesagt, es sei "kaum vorstellbar, dass aus einem Unternehmen eine so große Summe Geld verschwindet und die Führung davon nichts bemerkt". Zu dieser Ansicht waren auch einflussreiche Aufsichtsräte bei Siemens gelangt, die daraufhin den Wechsel an der Konzernspitze betrieben hatten. Ein Aufsichtsrat sagte am Mittwoch, er habe den Eindruck, dass man jetzt "die Kleinen hängt und die Großen laufen lässt"...
Unsere Ergänzung: Nach den Durchsuchungen von Polizei und Staatsanwaltschaften bei Siemens wurde ebenfalls Ende 2006 folgende Beziehung hergestellt:
Rechtsanwalts-Kanzlei Dr. Beckstein Ombudsmann bei Siemens
Die Siemens AG hat inzwischen einen Ombudsmann eingesetzt. Die Kanzlei des Bayerischen Innenministers Günther Beckstein (CSU) in Nürnberg bekam den Auftrag, das bestehende Compliance-System des Unternehmens nach Lücken zu untersuchen...
Das war leider kein Witz! Dr. Beckstein war zu diesem Zeitunkt Bayerischer Innenminister und oberster Chef der ermittelnden bayerischen Polizei und Kriminalpolizei! Die Presse-Kritik an dieser Beziehung war ziemlich deutlich!
Ebenfalls relevant: Dr. Beckstein informiert Abgeordnete über Mikrowellen-Waffen falsch [
www.findefux.de]
1 mal bearbeitet. Zuletzt am 06.04.2008 19:28 von Dr. Munzert.