<HTML>Spiegel-online 6.8.2006
Radar mit Tarnkappe
Von Markus Becker
Forscher arbeiten an einem Radarsystem, dessen Signal praktisch nicht zu orten ist. Das Rauschradar, auch "Stealth-Radar" genannt, könnte Rettungskräften, Medizinern und Archäologen ungeahnte Möglichkeiten eröffnen - aber auch Militärs und Geheimdiensten.
Mit Radar lassen sich alle möglichen Dinge orten: Flugzeuge, Schiffe, Regenwolken und im Erdreich versunkene Spuren früherer Zivilisationen. Allerdings hat das Radar auch eine Eigenschaft, die nicht immer von Vorteil ist: Das Signal, dessen Echo andere Objekte erkennen lässt, kann auch den Suchenden selbst verraten.
Das könnte bald vorbei sein: Ingenieure arbeiten an einem Radarsystem, dessen Signal praktisch nicht aufzuspüren ist, weil es dem restlichen Wellensalat in der Atmosphäre ähnelt. Dieses sogenannte Zufallsrauschen ist allgegenwärtig: Sterne, Blitze, Handys, Zündkerzen und Myriaden anderer Quellen senden elektromagnetische Wellen in den Äther.
RAUSCHRADAR: ORTUNGSTECHNIK MIT TARNKAPPE
"Fast alle Funkempfänger eliminieren das Zufallsrauschen, um ein bestimmtes Signal deutlich zu empfangen", erklärt Eric Walton von der Ohio State University in den USA. Das macht das Rauschen zum idealen Ort, um ein Radarsignal zu verstecken. Ein Signal, das dem Zufallsrauschen gleiche, könne niemand entdecken - "außer demjenigen, der weiß, wie genau die Wellenform aussieht und wonach er suchen muss", sagt Walton.
Radarsystem für nicht mal 100 Dollar
Der Ingenieur hat ein Gerät gebaut, dessen Bauteile seinen Angaben zufolge weniger als 100 Dollar gekostet haben und das er "Stealth Radar" ("Tarnkappen-Radar"
nennt. Ein konventionelles Radarsystem sendet kurze, starke Impulse aus und erkennt Objekte anhand ihrer ebenso deutlichen Echos. Das Stealth- oder auch Rauschradar arbeitet dagegen mit einem schwachen Signal, das über eine längere Zeit gestreckt wird, sich ständig verändert und eine große Bandbreite besitzt.
Aus den winzigen Unterschieden zwischen Ausgangssignal und Echo berechnet ein Computer die Position und Geschwindigkeit des Zielobjekts. Der Vergleich kostet allerdings Zeit, und aufgrund dieser Verschiebung kann das Rauschradar zunächst nur Objekte in einem bestimmten Radius erkennen. Ein fortschrittliches System mit großer Rechenpower könnte dagegen viele Ringe gleichzeitig abtasten und so ein vollständiges Bild erhalten.
Neu ist die Idee vom Rausch- oder Stealth-Radar freilich nicht, wie auch Walton einräumt: "Das Konzept ist schon seit den fünfziger Jahren eine Art Labor-Kuriosität." Erst die explosive Entwicklung der drahtlosen Kommunikation und Computerchips mit Taktfrequenzen von mehreren Gigahertz ermöglichten jetzt die praktische Umsetzung.
Neue Möglichkeiten für Ärzte und Rettungskräfte
Auch in Deutschland wird bereits seit Jahren an ähnlichen Systemen gearbeitet. An der Technischen Universität Ilmenau etwa forscht ein Team um Jürgen Sachs seit etwa zehn Jahren am Rauschradar. Weil es kaum zu orten ist, sei das Rauschradar vor allem bei Militärs bereits "auf Interesse gestoßen", sagt Sachs. Bei der Nato etwa gebe es eine Expertenrunde, die die Technologie im Auge habe.
Zwar könne das Signal des Rauschradars prinzipiell aufgespürt werden, doch sei das vor allem eine theoretische Möglichkeit. "Dafür müsste man wissen, woher das Signal kommt, um es dann mit einer Richtantenne zu empfangen", sagt Sachs. "Sonst hat man keine Chance."
Allerdings ist das Rauschradar nicht nur für den militärischen Einsatz, sondern auch für den Katastrophenschutz, die Materialforschung, die Archäologie und die Medizin interessant. Die enorme Bandbreite seines Signals erlaubt es dem Rauschradar, eine große Palette unterschiedlicher Objekte auszumachen. Zwischen der untersten und der obersten Frequenz liegen mehrere Gigahertz - "das ist mehrere tausend Mal mehr als das, womit man in normalen Kommunikationssystemen arbeitet", sagt Walton im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE.
Radar sieht Menschen hinter Mauern
Verschiedene Materialien reagieren jeweils anders auf unterschiedliche Frequenzen. "Man kann deshalb unterscheiden, ob im Boden ein Stein oder eine Landmine steckt, ob der Stahlbeton eines Hochhauses noch stabil ist, an welcher Stelle ein Knochen gebrochen ist oder wo sich nach einer Katastrophe Verschüttete befinden", so Walton.
Menschen werfen zwar ähnliche Echos zurück wie Stühle oder Tische. "Aber im Gegensatz zum Mobiliar verraten sie sich schon durch kleinste Bewegungen", sagt Walton. Auf diese Weise könnten etwa Rettungskräfte nach einem Erdbeben herausfinden, ob sich unter den Trümmern eingestürzter Häuser noch Überlebende befinden.
Es sei sogar denkbar, die inneren Organe im menschlichen Körper sowie Tumoren und Blutgerinnsel abzubilden. Daran aber habe er sich bisher noch nicht versucht, betont Walton. "Vorher müsste man natürlich die Wirkung des Radars auf den Körper erforschen." Die Forschergruppe aus Ilmenau ist da schon einen Schritt weiter: Im Herbst dieses Jahres beginnt ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördertes Projekt, "bei dem es um die Brustkrebs- und Herzschlag-Detektion gehen wird", sagt Sachs.
"Andere Radarsysteme können das nicht, weil sie zu weitsichtig sind", erklärt Walton. Das Stealth-Radar sei jedoch durch sein Funktionsprinzip wesentlich flexibler. "Es kann Dinge, die nur wenige Zentimeter entfernt sind, genauso deutlich erkennen wie Objekte auf der Oberfläche des Mars." Das allerdings wäre dann ein "völlig anderes System", gibt Sachs zu bedenken. "Dafür müsste man eine viel größere Signalstärke, andere Rauschcodes und andere Bandbreiten verwenden."
Das Breitband-Prinzip hat im Übrigen auch einen Nachteil: Man muss vorher in etwa wissen, wonach man sucht. Ist etwas Unvorhergesehenes im Weg, hätte das Rauschradar wahrscheinlich einige Schwierigkeiten, das Hindernis zu erkennen, ohne einfach hindurchzusehen.</HTML>